Und dann…

Genesungsbegleitung

Die Forderung nach mehr Einbeziehung von Psychiatrie-Erfahrenen ist eine politische, fachliche aber auch menschenrechtliche Position. Die Lebenssituation von Menschen in psychischen Krisen zu verbessern, war die Ursprungsmotivation, aus der heraus der EX-IN Kurs entwickelt wurde. Daraus ist eine soziale Bewegung entstanden, innerhalb derer sich viele Menschen bundesweit ehrenamtlich engagieren. Gleichzeitig qualifiziert der Kurs zum EX-IN Genesungsbegleiter für eine berufliche Rolle. Psychiatrie-Erfahrene sollen die Gelegenheit erhalten, selbst in der Psychiatrischen Versorgung eine aktive Rolle einzunehmen. Der Kurs bereitet darauf vor. Die Inhalte sind sehr konsequent auf Recovery und Empowerment ausgerichtet, also auf die Stärkung von

  • Selbstbestimmung,
  • Hoffnung,
  • Selbstermächtigung,
  • individueller Sinnfindung und Verwirklichung,
  • Beteiligung am Leben in der Gemeinschaft
  • Kontrolle über das eigene Leben
  • Glauben an die eigenen Lösungsideen
  • Solidarisierung und Selbsthilfe von Psychiatrie-Erfahrenen
  • Zusammenarbeit mit Professionellen und Angehörigen an einer psychiatrischen Versorgung, die die Menschenrechte achtet
  • neuen Ansätzen im Sinne des BTHG und UN BRK

Eine der wesentlichen Aufgaben von EX-IN Genesungsbegleiter*innen ist es, die Philosophie von Recovery in die psychiatrische Praxis hineinzutragen, den vier Dimensionen von Recovery Bedeutung zu geben:

  • Hoffnungsräume eröffnen,
  • Entwicklung einer positiven Identität, eines positiven Selbstbildes fördern,
  • Entwicklung von Sinn und Bedeutung im Leben fördern,
  • persönliche Verantwortung für das eigene Leben übernehmen.

In einer ihrer Veröffentlichungen (2005) umschreibt Michaela Amering diese Philosophie mit »Hoffnung-Macht-Sinn« und setzt damit eine Leitidee für eine psychiatrische Arbeit, die sich an Recovery orientiert.

Wirksamkeit des Einsatzes von EX-IN Genesungsbegleiter*innen


Der gemeinsame Bundesausschuss der Krankenkassen (Gba) ist das oberste Gremium der Krankenhausgesellschaften und Krankenkassen und legt die Personalvorgaben und Behandlungsvorgaben für Krankenhausbehandlung fest. Erstmalig wurden für die ab 1.1.2023 geltende Fassung der „Personalausstattung Psychiatrie und Psychosomatik-Richtlinie“ EX-IN Genesungsbegleiter*innen mit aufgenommen. Dadurch ist es möglich, zentrale Aufgaben von Genesungsbegleiter*innen abzurechnen. Siehe hierzu: https://www.g-ba.de/richtlinien/113/

Die S3-Leitlinie »Psychosoziale Therapie bei schweren psychischen Erkrankungen« (2019, S. 26 ff.) bezeichnet in dem Eingangskapitel »Grundlagen psychosozialer Interventionen« Empowerment als grundsätzlichen Aspekt für die therapeutische Beziehung und Recovery als grundsätzliches Ziel psychosozialer Interventionen. Empowerment und Recovery werden damit handlungsleitend für die Psychiatrie.

Im Weiteren bewertet die angeführte S3-Leitlinie (2019, S. 156 f.) die Evidenz unterschiedlicher Formen von Selbsthilfe und geht auch auf Peer-Beratung ein. Es werden Untersuchungen zur Verbesserung der Versorgungsqualität durch die Beteiligung Psychiatrie-Erfahrener angeführt. Die Untersuchungen belegen eine Reduktion stationärer Behandlung und bessere Kontakte zu schwer erreichbaren Patienten; diese fühlen sich umfassender verstanden und akzeptiert.
Diese besseren Ergebnisse der Behandlung ergeben sich dadurch, dass Genesungsbegleitung die Möglichkeit bietet, sich mit anderen Betroffenen über gemeinsame Erfahrungen, Sichtweisen und Erklärungen austauschen zu können und sich im Rahmen einer von Akzeptanz, Verständnis und Empathie getragenen Beziehung zu begegnen. Betroffene berichten, dass die Genesungsbegleiter Hoffnung auf Genesung authentisch vermitteln und die »gleiche Sprache« sprechen. Die Interessen der Klientinnen und Klienten werden sensibler wahrgenommen; Genesungsbegleiter laden dabei immer wieder ein, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Alles Faktoren, die ein eigenes, sinngebendes Krankheitsverständnis fördern und Grundlage für Empowerment und Recovery sind. Peer-Beratung wird in den Leitlinien im Sinne eines klinischen Konsensus empfohlen. Für eine stärkere Empfehlung reicht die derzeitige Forschungslage nicht aus.

Es gibt aktuell ein großes Forschungsprojekt der medizinschen Hochschule Brandenburg:

Evaluation von Erfahrungen mit Peer- und Genesungsbegleitung ImpPeer-Psy5-Studie

Seit rund 20 Jahren arbeiten Menschen mit eigenen Erfahrungen seelischer Krisen und der Genesung davon (Peers), als Peerbegleiter*innen in psychiatrischen Versorgungseinrichtungen. Übersichten internationaler Studien zeigen, dass Peerbegleitung die Selbstermächtigung, Selbstwirksamkeit und Genesung von Psychiatrienutzenden verbessern kann. Gleichzeitig gibt es nur wenige wissenschaftliche Erkenntnisse und Daten zu Peerbegleitung in der deutschen Regelversorgung.

Das Forschungsprojekt ImpPeer-Psy5 erhebt und evaluiert bundesweit Erfahrungen mit Peerarbeit und analysiert den Bedarf der beteiligten Akteurinnen. Es untersucht die Bedingungen des Einsatzes von Peerbegleiterinnen und ihre Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen und Nutzerinnen, und prüft die Übertragbarkeit internationaler Studienergebnisse. Eine standardisierte Befragung richtet sich an Peerbegleiterinnen, Peers in Ausbildung, Mitarbeiterinnen und Führungskräfte aus Einrichtungen mit und ohne Peerbegleitung, sowie Nutzerinnen mit und ohne Kontakt zu Peers. Darüber hinaus erkunden Akteur*innen aus diesen Zielgruppen, in Dialogen mit Forschenden, ihre Erfahrungen im Rahmen von moderierten Gesprächsgruppen und Einzelinterviews detaillierter. Nähere Infos siehe https://www.mhb-fontane.de/imppeer-psy5-studie.html

EX-IN Genesungsbegleiter sind aus der aktuellen psychiatrie-politischen Diskussion nicht mehr wegzudenken, auf den sozialpsychiatrischen Tagungen der letzten Jahre sind immer Psychiatrie-Erfahrene unter den Vortragenden. Psychiatrie-Erfahrene sind Redaktionsmitglieder und Autoren in sozialpsychiatrischen Fachzeitschriften. Gleichzeitig entwickeln immer mehr freie Träger und Kliniken Konzepte, die den Einsatz von EX-IN Genesungsbegleiter implementieren.

Erklärfilm EX-IN Genesungsbegleitung

Hier ein Link zu einem Film, der in anderthalb Minuten auf sehr bildreiche Weise die Arbeit von Genesungsbeleiter*innen erklärt.

https://www.trinetz.de/wp-content/uploads/2020/01/Trialog-im-Netz.mp4

Hier ein weiterer Link zu einem ausführlichen Film, der die Entwicklung von EX-IN nachzeichnet anlässlich der Verabschiedung von Gyöngyver Sielaff, die am UKE Hamburg als zweite Partnerorgansiation die Entstehung von EX-IN in Deutschland gemeinsam mit Jörg Utschakowski mit FOKUS geprägt hat:

https://ex-in-hamburg.net/eine-kultur-der-wuerde

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tätig werden

In Bremen sind mindestens 40 EX-IN Genesungsbegleiter*innen in der psychiatrischen Versorgung bezahlt tätig.

Als Fürsprecher, als Genesungsbegleiter auf psychiatrischen Stationen, in der Akutpsychiatrie, der Tagesklinik, im Betreuten Wohnen/der qualifizierten Assistenz, in Tagesstätten, als Gruppenleiter von Recovery-Gruppen, als Dozenten in Fortbildungen, als Jobcoaches, als Projektmitarbeiter, als Recovery-Beauftragte, in stationären Angeboten, im intensiv-betreuten Wohnen, etc.

Podcasts: EX-IN – Genesungsbegleitung als Teil der Therapie

Die AMEOS Klinik arbeitet mit GenesungsbegleiterInnen. In ihrer Öffentlichkeitsarbeit hat die Organisation zwei podcasts erarbeitet. Der erste Teil ist mit dem ärztlichen Direktor, Prof. Dr. Gonther, der zweite Teil mit Roman Gier, einem Genesungsbegleiter, der in der Ameos Klinik in Bremen arbeitet. Beide Interviews zusammen vermitteln einen guten Einblick in die Arbeit.

Teil I und Teil II (Links zur Website der AMEOS Kliniken)

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Berufseinstieg einer Genesungsbegleiterin aus dem EX-IN Kurs Bremen

Madeline Albers erzählt über Selbstwirksamkeit, über Unterstützung durch Fachkräfte. Außerdem schildert eine krisenerfahrene Person, die von ihr begleitet wird, die Wirksamkeit der Unterstützung durch Erfahrungsexpert*innen in einem kurzen Filmbeitrag. Den link zum Film, gesendet in der Sendung DAS auf NDR am 14.11.2023 finden sie hier

Implementierung EX-IN

Jörn Petersen war Mitglied des Beirates in dem EU-Projekt:
Implementierung der europäischen Standards für Genesungsbegleiter unter der Leitung des Grone-Bildungszentrums.
In diesem Rahmen hat er einen Artikel für die wissenschaftliche Publikation:
„Social, Organizational and Legal Determinants of the Profession of Peer Support Workers in Europe“
verfasst, die die Ergebnisse des EU-Projektes zusammenfasst.
In dem englischsprachigen Beitrag „Experiences with the implementation of the EX-IN peer support in psychiatric services in Germany“ werden die Erfahrungen mit der Implementierung des Genesungsbegleitungsansatzes in psychiatrischen Organisationen aufgearbeitet. Es fließen die Erfahrungen von FOKUS ein sowie der Diskurs auf nationaler und internationaler Ebene.

In den Jahren 2016/2017 begleitete FOKUS ein Modellprojekt

Das Modellprojekt zur Unterstützung der gelingenden Implementierung des Genesungsbegleiter-Ansatzes für Organisationen, die (neu) mit EX-IN Genesungsbegleiter arbeiten wurde durch eine Evaluation begleitet. Die Aktivitäten von FOKUS im Modellprojekt hatten das Ziel: Die Einführung des EX-IN Genesungsbegleiter-Ansatzes bremenweit zu fördern (3 Ebenen: Institution, Mitarbeiter, Genesungsbegleiter). Das Mittel waren verschiedene Formate, in denen Expertenwissen und Kapazitäten den Organisationen zu gute kommen können, um einen gelingenden Prozess auf allen drei Ebenen zu unterstützen:

  • Workshops
  • Jobcoaching
  • Supervision
  • Evaluation

Die Ergebnisse diese Projektes wurden in einem Bericht zusammengefasst.

Download des Projektberichtes

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Erfahrungsberichte über EX-IN

Im Rahmen unseres Projektes Wörterwerkstatt haben ehemalige EX-IN Teilnehmer*innen mit uns gesprochen. Unter Empowerment könnt Ihr eintauchen, die Interviews lesen, Euch auf eine spannende Traumreise durch die Schulung mitnehmen lassen und empowernde Inspirationen finden.

Viel Vergnügen wünschen Euch
Ramona und Heike von der Wörterwerkstatt

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